Haarige Angelegenheiten
So wie Archäologen bestimmte Epochen der Menschheitsgeschichte anhand der gefundenen Keramik klassifizieren, so wird man vielleicht in ferner Zukunft die Alltagskultur des 20. Jahrhunderts mit Hilfe unspektakulärer Gebrauchsgegenstände aus Kunststoff datieren können.
Zu diesen Leitobjekten gehören bestimmt Handhaartrockner, deren Material, Form- und Farbgebung bestimmte Epochen der Werkstoff- und Designgeschichte sehr charakteristisch verkörpern. 2008 und 2009 haben wir die Sammlung des KMV um einige interessante Objekte erweitern können.
Ziemlich spacig - Modell Strahlenpistole aus amerikanischen Science Fiction-B-Movies - wirkt der Haartrockner der Boschtochter Eisemann. Das Gehäuse aus Phenoplast ist dynamisch gerundet, um Leistungsfähigkeit und Kraft zu suggerieren. Diese Geräte waren weniger für den Hausgebrauch als für den professionellen Einsatz in Frisiersalons gedacht, wodurch sich die robuste Bauweise erklärt.
Haartrockner von Moulinex, Bundesrepublik Deutschland um 1960, schlagfestes Polystyrol, K-2008-00004
Nach 1945 verdrängen die modernen Thermoplaste mehr und mehr die Phenoplaste für Gehäuse von Elektrogeräten im Haushalt. Besonders in der Küche und im Bad bevorzugte man Weiß und Pastelltöne, die eher den Eindruck von Hygiene und Modernität vermittelten.
Der Haartrockner von Moulinex entsprach ganz diesen Anforderungen. Die gerundeten Formen mit dem dynamisch nach hinten abgewinkelten Griff wurden noch unter dem Eindruck des aus den USA importierten Stromliniendesigns gestaltet, wobei man sich schon fragt, wohin und wie schnell das Gerät wohl mit seinen hinten angebrachten Raketenleitwerken fliegen sollte.
Haartrockner „ABC“, Polystyrol, um 1965, K-2008-00031
Aber auch Elemente des Automobilbaus können entliehen werden, um die Optik aufzupeppen: Der „ABC 825“ prunkt mit einer glänzenden Zierleiste, die dem zur Unterbringung des Gebläses doch recht massiv geratenen Gehäuse mehr Leichtigkeit verleiht, obwohl der Handgriff im Verhältnis dazu immer noch zu zierlich geraten ist.
Mit den 60ern setzt sich jedoch mehr und mehr, vor allem in Deutschland, eine funktionalistische Verknappung der Formensprache durch. Geschuldet ist das vor allem den Produktlinien der Firma Braun und dem Chefdesigner Dieter Rams.
Haartrocker „Braun HLD 4“, Polystyrol, 1970, K-2008-00002
Von ihm stammt auch der Haartrockner „HLD 4“, dessen Minimalismus in der Gestaltung nicht mehr zu übertreffen ist. Die gesamte Technik verschwindet in einem Gehäuse im Format eines dicken Taschenbuches mit abgerundeten Ecken. Alle Funktionen konzentrieren sich an der einen Schmalseite: Schlitze zum Ansaugen kalter und Blasen kalter Luft, darunter der runde Knopf zum Anschalten. Das kleine, nicht sehr leistungsstarke Gerät ist für das schnelle Trocknen des Haars auf der Reise geeignet. Bei der Gestaltung aufwändiger Fönfrisuren macht sich der fehlende Griff doch unangenehm bemerkbar.
Haartrockner „Siemens MH 1500“, ABS und Polystyrol, um 1970, K-2008-00021
Beim „Siemens SH 1500“ sind Gebläse und Handgriff mit den Bedienelementen wieder eindeutig voneinander getrennt, auch erfolgt die Ansaugung der kalten Luft durch eigene Schlitze an den Seiten, während die Warmluft nach vorn durch die Düse austritt. Wie auch schon beim „Braun HLD 4“, der in leuchtendem Gelb, Blau und Rot erhältlich war, zeigt sich hier nun auch die Vorliebe der Zeit für leuchtende Farben und Kontraste. Keine Farbe ist so typisch für die Popära wie Orange in Kombination mit schwarz oder dunkelbraun.
Haartrockner „SHG Atlas“, Polystyrol, um 1975, K-2008-00032
Das Modell „Atlas“ der Firma SHG erscheint fast wie die psychedelische Verformung des Haartrockners von Siemens: auch hier wird die Luft durch eine seitliche schwarze Kunststoffabdeckung angesaugt und das zeittypische Orange kommt zum Einsatz. Die rechten Winkel und Kreissegmente, aus dem der Siemensapparat noch im Sinne des Funktionalismus konstruiert wurde, erscheinen aufgebläht und entgeometrisiert, übertrieben formuliert: ein Haartrockner im Hippiekostüm.
Haartrockner „Top“, Polystyrol, um 1975
Auch das Modell von „Top“ zeigt sich wieder im typischen Orange der 70er. Die Formen aber wieder auf Kreis und rechte Winkel reduziert. Das Rohr für die Heißluft ist aus Aluminium gefertigt, wahrscheinlich versprach man sich davon eine höhere Hitzebeständigkeit.
Spielzeugföhn, Polystyrol, Hong Kong um 1965, K-2008-00208
Die Allgemeingültigkeit der klassischen Formgebung für einen Haartrockner zeigt sich auch in der Übernahme durch die Spielzeugindustrie: wahrscheinlich in den 60ern des 20. Jahrhunderts wurde in der damals noch britischen Kronkolonie Hong Kong der Kinderföhn aus Polystyrol produziert. Abgesehen von der Farbigkeit und dem Blümchendekor ist das Gerät ganz konventionell gestaltet.
Haartrockner „Severin“, Polystyrol, Bundesrepublik Deutschland, um 1980, K-2008-00022
Bei diesem Modell von Severin sind die Einlass-Schlitze für die Kaltluft hinten am Gerät, nicht seitlich, angebracht. Der Korpus erhält dadurch wieder wie schon in den 50er Jahren eine dynamischer wirkende, einheitliche Walzenform.
Haartrockner „LD 65“, Polyethylen und Polystyrol, Deutsche Demokratische Republik, K-2008-00023
Ein Designklassiker aus ostdeutscher Produktion ist der Haartrockner „EfBe LD 65“ der VEB Elektrogeräte Bad Blankenburg. Der Entwurf stammt vom Anfang der 1960er Jahre. Das Gerät wurde mit leichten Modifikationen bis in die späten 80er produziert. Es verfügte über ein praktisches Detail: Je nach Wunsch konnte wahlweise ein Handgriff oder ein Standfuß am Gebläseteil montiert werden.
Die Stabform für den Haartrockner kommt schon in den 30er Jahren des 20. Jahrhunderts auf. Das erste Gerät mit Bakelitgehäuse ist der „Edir“ von Siemens. Vor allem für Reisen ist diese Variante beliebt, da sie Platz sparend im Gepäck untergebracht werden kann.
Hier die DDR-Variante, noch im Originalkarton mit einem reichen Satz an Vorsatzdüsen für alle möglichen Styling-Varianten.
Haartrockner „Krups“, Polystyrol, Bundesrepublik Deutschland, um 1985, K-2008-00003
In den 80ern des 20. Jahrhunderts kommt die poppige Farbgebung für Elektrogeräte im Bereich der Körperpflege wieder aus der Mode. Ganz minimalistisch mit auf das Notwendigste reduzierten Formen kommt das Gerät von Krups in weiß daher. Die Reduktion geht jedoch nicht auf Kosten der Handlichkeit.