Vom Fake zum Hightech
Eine kleine Geschichte der Kunststoffe
Kunststoff ist alt. Fast 500 Jahre alt ist die älteste Anleitung zur Herstellung eines Kunststoffs auf Kaseinbasis. Und bereits lange Zeit vorher gab es Alchimisten, die sich der Herstellung von Ersatzwerkstoffen für teure Rohstoffe widmeten. Bekannt sind bis heute die Goldmacher und ihre vielfältigen Versuche, für sich oder ihren Auftraggeber zu Reichtum zu gelangen. Nicht ganz so spektakulär sind die Bemühungen, Kunststoffe herzustellen. Dafür haben sie den Charme des Erfolgs. Und das bis heute.
Der Stoff auf dem die Träume sind
Kunststoff als Ersatzstoff für eine andere, wertvollere Substanz - das sollte noch lange so bleiben. Auch der wohl berühmteste frühe Kunststoff, das Zelluloid, wollte genau so etwas sein, nämlich der Ersatz für das seltene und deshalb so teure Elfenbein. Eine neue Mode in Amerika, das Billardspiel, hatte den Nachschub des schon immer kostbaren Produktes beinahe zum Erliegen gebracht. Die Bestände der afrikanischen Elefanten gingen drastisch zurück.
Ob’s der Wunsch nach Erhalt der natürlichen Umwelt war oder doch eher die sinkenden Gewinne, die ihn dazu trieb - ein amerikanischer Billardkugelhersteller veranstaltete ein Preisausschreiben, das demjenigen die stolze Summe von 10.000 Dollar versprach, der einen Ersatz für Elfenbein erfand. John Wesley Hyatt, gelernter Drucker und Erfinder im Selbststudium, war im Jahr 1868 schließlich erfolgreich: Zelluloid hieß das Material, das Elfenbein nicht nur im Billardspiel ersetzte. Schmuck, Kunstgewerbe, Spielzeug und vieles mehr wurde aus dem neuen Werkstoff hergestellt, der wegen seines schimmernden Glanzes mit so klangvollen Namen wie Rotperl oder Cubana geadelt wurde.
Als preisgünstiger Ersatz für das „weiße Gold“ Afrikas entwickelt, sollte Zelluloid jedoch in der Folge das Trägermaterial für eine kulturelle Revolution werden. „Auf Zelluloid gebannt“ exportierten die Traumfabriken in Berlin oder Hollywood die neue Form der Unterhaltung, den Film, in alle Welt.
„Life in Plastic, It’s Phantastic“ (Aqua, 1997)
Um 1900 zeigte sich also schon mit der Entwicklung des Zelluloid, dass die neuen Werkstoffe viel mehr sind, als dekorativer Ersatz für etwas wirklich Wertvolles. Kunststoff wurde zu dem Werkstoff der modernen Gesellschaft. Diese Tendenz sollte sich im 20. Jahrhundert eindruckvoll beweisen.
Zum Beispiel Nylon: 1935 von Wallace Hume Carothers entwickelt, kam es 1938 auf den Markt. Auf’s Engste zeigt sich hier die Wechselwirkung von gesellschaftlicher Entwicklung und Kunststoff. In den 20er/30er-Jahren entstand ein neues Frauenbild, die berufstätige Frau war keine exotische Randerscheinung mehr. Das „Working Girl“ in den USA verlangte nach pflegeleichter, preisgünstiger Kleidung. Die nun praktisch kurzen Röcke ließen Bein sehen, das durch die ersten Nylons 1940 eine für alle erschwingliche und haltbare Verpackung bekam.
„Wunder der Kunststoffe“
„Image zu bilden“ im positiven Sinne war das Ziel, das sich die junge Kunststoffindustrie und ihre Branchenzweige in der jungen Bundesrepublik auf die Fahnen geschrieben hatten. Im Jahre 1952 beschlossen deshalb Unternehmen und Verbände, gemeinsam mit der damaligen Nordwestdeutschen Ausstellungsgesellschaft – NOWEA – der heutigen Messe Düsseldorf GmbH – eine Veranstaltung ins Leben zu rufen, die die Leistungsfähigkeit und die Vielseitigkeit von polymeren Werkstoffen unter Beweis stellen sollte.
„Wunder der Kunststoffe“ titelte die Publikumsveranstaltung, die 1952 erstmalig auf dem Düsseldorfer Ausstellungsgelände stattfand.
270 ausstellende Unternehmen, alle aus der jungen Bundesrepublik Deutschland, beteiligten sich an der Premierenveranstaltung. Sie belegten rund 14.000 Quadratmeter Netto-Ausstellungsfläche, und 165.000 Besucher bestaunten schon damals die Produkte aus den „Hexenküchen der Chemie“ und deren vielseitige und praktische Anwendungsbeispiele.
Von 1952 bis 1959 war die K-Düsseldorf eine reine Leistungsschau der deutschen Industrie. Jeder interessierte Besucher, ob Laie oder Fachkraft, konnte sich ein Bild machen von der Vielseitigkeit und dem Innovationspotenzial der polymeren Werkstoffe. Anziehungspunkt für das in großen Massen strömende Publikum waren damals die bunten Konsumwaren der Kunststoffverarbeiter. Dinge, die das alltägliche Leben schöner und bequemer machen sollten, standen im Mittelpunkt des Interesses.
Je mehr sich die Kunststoffindustrie spezialisierte, desto stärker reduzierte sich der Anteil der „Seh-Leute“ bei der K-Düsseldorf. 1963 erfolgte dann der Schnitt: Die K wurde eine reine Fachmesse internationaler Prägung für Experten aus der Kunststoff- und Kautschukindustrie sowie den Verwenderbranchen. Und sie wurde unbestrittene Leitmesse ihrer Branche.
Das dritte Jahrtausend
Mehr als hundert Jahre alt – und dennoch hat die Geschichte der Kunststoffe erst begonnen. Kunststoffe mit speziellen Eigenschaften werden helfen, die Innovationen der Zukunft durchzusetzen. Hier nur einige Stichworte.
Medizin: Fixationsstifte aus Polylaktiden stabilisieren verletzte Knochen, bevor sie sich innerhalb von zwei Jahren vollständig abbauen. Künstliche Haut, eine zweischichtige Membran aus einer Silikonschicht und einer natürlichen Gewebeschicht, die auf einem Nylongewebe kultiviert wurde, deckt Wunden bis zur vollständigen Heilung hygienisch ab.
Kommunikation: Holo-CD’s aus modifiziertem Polycarbonat können Bits nicht nur nebeneinander sondern auch übereinander stapeln. Eine Kapazität von 1.000 Gigabyte wäre so möglich.
© Eva Rugenstein 2007